Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien, erläutert die Aufgabe seines Hauses im Wissenschaftsbetrieb und nennt einen Ausweg aus der Krise.
Interview: Christian Zillner
Falter HEUREKA: Herr Bast, das Sparpaket sieht vor, dass Universitäten für die kommenden mageren Jahre Rücklagen bilden.
Gerald Bast: Das ist absurd. Genauso absurd wie eine Politik, die Pensionisten gegen die Zukunft Österreichs, die in den Universitäten vorbereitet wird, ausspielt. Wenn man nun massiv die Förderung von Wissenschaft und Kunst verringert, verringert man die Zukunftsfähigkeit des Landes. Woher soll der Wirtschaftsstandort Österreich in Hinkunft seine Impulse bekommen? Gerade in dem Sektor einzusparen, der noch Hoffnung auf künftige Konkurrenzfähigkeit in den Märkten verspricht, halte ich für kontraproduktiv.
Das Geld ging an die Banken und die Griechen.
Bast: Ja, und jetzt fehlt es in Wissenschaft und Bildung. Die europäische Rüstungsindustrie hat Griechenland über Jahre hinweg neue Waffensysteme verkauft und nun stellt sie die Rechnung fällig. Wir müssen bei uns im Bildungssektor, bei Wissenschaft und Kunst einsparen, damit den europäischen Waffenproduzenten die ausständigen Rechnungen beglichen werden.
Was bedeutet die Krise für die Kunst?
Bast: Dass die Kunstmärkte in Zukunft Innovationen noch stärker scheuen und vor allem in Bewährtes investieren werden. Es wird also der freie Markt weniger Neuerungen ermöglichen, die Erneuerungskraft der über Galerien, Sammler und Kunsthändler am Markt verbreiteten Kunst wird sinken. Die Galeristen und Händler können noch am wenigsten dafür, sie müssen versuchen zu überleben. Ihnen fehlen neben dem Markt Geschäftspartner wie die öffentlichen Museen und Kunsthallen, denn diese verfügen über keine nennenswerten Ankaufsbudgets mehr, können also Innovationsprozesse in der Kunst nicht mehr ausreichend fördern. Die direkte staatliche Förderung von Künstlern geht auch ständig zurück. Es fehlt also der Anreiz zur künstlerischen Erneuerung und Entwicklung.
Können hier die Kunstuniversitäten neue Möglichkeiten eröffnen?
Bast: Laut Gesetz sind sie verpflichtet, für die Erneuerung und Entwicklung der Kunst zu sorgen. In der Vergangenheit wurden Kunstakademien jedoch als reine Ausbildungsanstalten für künftige Künstler betrachtet. Man hat Studierende ausgebildet, die danach in den freien Markt entlassen wurden. Anders als für naturwissenschaftliche oder technische Universitäten fehlte in Politik und Gesellschaft das Verständnis dafür, dass Kunstakademien auch für die systematische Innovation zuständig sind, also wie die genannten Unis eine Art Grundlagenforschung betreiben müssten. Die gesamte Innovationsleistung wurde bisher dem privaten Kunstmarkt überlassen, genauer gesagt den Künstlerinnen und Künstlern in ihren Ateliers. Das ist so, als würde man auf den TU Chemiker oder Maschinenbauer oder Informatiker ausbilden und ihnen dann sagen: „So, für die Weiterentwicklung der Forschung seid ihr jetzt bei euch zu Hause zuständig – oder bei der Firma Bayer, schaut euch dort einmal um.“ Tatsächlich ist es bei naturwissenschaftlichen und technischen Universitäten so, dass sie die Innovationsleistung in der Grundlagenforschung erbringen, die dann von privaten Unternehmen übernommen und verwertet wird. Dazu werden diese Unis mit den nötigen Ressourcen an Personal und Infrastruktur ausgestattet.
Beides fehlt aber an den Kunstuniversitäten.
Bast: Es gab bis vor Kurzem kaum künstlerische Grundlagenforschung an unseren Kunstunis. Das heißt, sie konnten und können als Institutionen keine entscheidende Innovationskraft im Kunstbereich entwickeln – was natürlich das Potenzial ihrer Wirkungskraft für gesellschaftliche und künstlerische Entwicklung massiv einschränkt. Dies bleibt dem privaten Kunstmarkt überlassen, und wohin sich der bewegt, habe ich ja schon angedeutet.
Die Kunstunis werden angesichts von Sparmaßnahmen wohl nicht mehr Ressourcen zur Verfügung haben, um die Innovation im Kunstbereich systematisch voranzutreiben. Welche Möglichkeiten bleiben da noch?
Bast: Dadurch, dass aus unserer Kunsthochschule eine Kunstuniversität geworden ist – zunächst einmal, um sie deutlich von den neuen Fachhochschulen zu unterscheiden –, besteht nun die Möglichkeit, beim Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung FWF um Projekte anzusuchen. Viele Jahre hindurch habe ich für die Künste ähnliche Instrumente zur Stimulierung von Innovation gefordert, wie dies der FWF für die
wissenschaftliche Forschung ist. Seit 2009 gibt es nun innerhalb des FWF ein Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste, PEEK, mit genau diesem Anspruch. Projektanträge von Künstlerinnen und Künstlern werden streng von ausschließlich ausländischen Experten geprüft und als förderungswürdig beurteilt oder abgelehnt. Damit besteht für die Kunstunis nun die Möglichkeit, innovative Grundlagenforschung im Bereich der Kunst zumindest punktuell durchzuführen. Primär junge Künstler erhalten durch eine Anstellung an der Kunstuni im Rahmen des geförderten Projekts die Möglichkeit, sich für mehrere Jahre auf die Entwicklung künstlerischer Innovation zu konzentrieren. Ich halte die Projektanträge an den FWF für die am meisten versprechende Strategie, um zur innovativen Grundlagenforschung in der Kunst zu kommen.
Das heißt, Dissertanten sollten sich um FWF-Projekte bemühen?
Bast: Ich bin von der Notwendigkeit spezifisch künstlerischer Doktoratsstudien noch nicht restlos überzeugt. Wissenschaftliche Dissertationsmöglichkeiten – auch für Künstler – gibt es an den Kunstunis ja schon lange. Auch wenn manche Wissenschaftler leicht skeptisch sind: Hier zeigt sich eine ganz besondere Qualität der Kunstunis, eine Belebung wissenschaftlichen Arbeitens durch die manchmal etwas andere Herangehensweise von nicht nur wissenschaftlich gebildeten und sozialisierten Menschen. Das konnte und kann auch zur Beteiligung an wissenschaftlichen FWF-Projekten führen. Das Neue und Spannende aber sind die geschilderten PEEK-Projekte, die nicht mit einem Doktoratsstudium gekoppelt sein müssen. Gerade läuft der zweite Call, also die Aufforderung zur Einreichung. Je mehr Projekte wir an unserem Haus haben, umso größer wird die Innovationskraft, aber auch das allgemeine Bewusstsein, dass eine Kunstuni für die Erneuerung und Entwicklung im Kunstbereich zuständig ist. Der Paradigmenbruch, der aus Künstlererziehungsanstalten Orte der Kunstentwicklung werden ließ, könnte zu einem neuen Paradigma führen, nämlich: Kunstinnovation geschieht an Kunstuniversitäten, nicht mehr nur allein am freien Markt.
Braucht die Gesellschaft überhaupt eine künstlerische, eine ästhetische Erneuerung?
Bast: Wir haben die industrielle Revolution hinter uns, wir haben die Informationsrevolution hinter uns, was soll denn nun als Nächstes kommen? Ich glaube, wir brauchen eine kreative Revolution für die gesamte Gesellschaft, nicht bloß Creative Industries. Die Reduzierung von Kreativität auf ein paar wenige Wirtschaftsbereiche ist absurd, vor allem aber innovationsfeindlich.
Was verstehen Sie unter der Kreativität, die unsere Gesellschaft revolutionieren soll?
Bast: Eine spezielle Form der Wahrnehmung, der Kommunikation und des Ausdrucks, wie sie Künstlerinnen und Künstlern eigen ist. Es geht ja nicht nur um bestimmte Skills, es geht um eine Sicht auf die Dinge und eine Haltung zu anderen Menschen und zur Umwelt, die eine Künstlerin oder einen Künstler ausmachen. Diese können zur gesellschaftlichen Entwicklung entscheidend beitragen, wenn sie entsprechend gefördert und genutzt werden. Das ist eine Aufgabe der Grundlagenforschung an Kunstunis: zu analysieren und zu zeigen, wie diese künstlerische Kreativität gesellschaftliche Prozesse positiv beeinflussen und verändern kann. Hier sehe ich die große Chance etwa auch für Österreich: Wir können durch die Entwicklung künstlerischer Kreativität im globalen Wettbewerb eine Position einnehmen, die unser wirtschaftliches Überleben sichert. Denn in Industrie und Informationstechnologien sind nun einmal China, Indien und andere aufstrebende Regionen die Marktbeherrscher der Zukunft. Wir müssen in der kreativen Revolution ganz vorne sein, das ist unsere Chance.
Gerald Bast, Rektor der Universität für angewandte Kunst, Wien
Falter, 11.6.2010